Die Vanguard Group gab bekannt, dass Kunden neu ETFs und Investmentfonds handeln können, die Bitcoin, Ethereum, XRP und Solana halten. Die Entscheidung beendet eine im Januar 2024 eingeführte Blockade und gewährt über 50 Millionen Brokerage-Kunden Zugang zu regulierten Krypto-Produkten.
Der zweitgrösste Vermögensverwalter weltweit verwaltete per September 2025 Assets im Wert von 11.6 Billionen US-Dollar. Die Öffnung erfolgt zu einem bemerkenswerten Zeitpunkt: Bitcoin notiert bei 86'000 Dollar, 32 Prozent unter dem Allzeithoch von 126'000 Dollar Anfang Oktober 2025. Im November verzeichneten US-Spot-Bitcoin-ETFs Abflüsse von 3.5 Milliarden Dollar – der höchste monatliche Abfluss seit deren Einführung im Januar 2024 .
Führungswechsel ermöglicht Strategieänderung
Die Entscheidung folgt auf die Ernennung von Salim Ramji zum CEO im Juli 2024. Ramji war zuvor Global Head of iShares bei BlackRock und verantwortete dort die Einführung des IBIT Bitcoin ETF. IBIT erreichte im Oktober fast 100 Milliarden USD Assets under Management, verzeichnete jedoch im November Rückgänge auf 70 Milliarden USD. Trotz der jüngsten Abflüsse bleibt es die erfolgreichste ETF-Lancierung in der Geschichte des US-Marktes.
Andrew Kadjeski, Vanguards Head of Brokerage and Investments, begründete die Öffnung gegenüber Bloomberg mit der zunehmenden Reife des Marktes: "Krypto-ETFs und Investmentfonds wurden durch Phasen von Marktvolatilität getestet und funktionierten wie vorgesehen, während sie Liquidität aufrechterhielten." Zudem hätten sich Back-Office-Prozesse für die Abwicklung von Krypto-Fonds verbessert.
Die Positionierung steht in direktem Kontrast zur bisherigen Firmenlinie. Im Mai 2024 hatte der damalige CEO Tim Buckley öffentlich argumentiert, Bitcoin eigne sich nicht für langfristige Vorsorge. Im Januar 2024 entfernte Vanguard sogar bestehende Bitcoin-Futures-ETFs von der Plattform, als die SEC elf Spot-Bitcoin-ETFs zuliess. Konkurrenten wie Fidelity, Charles Schwab und Morgan Stanley hatten ihre Plattformen bereits für Bitcoin-ETFs geöffnet. Vanguard-Kunden mussten bisher zu anderen Brokern wechseln, um in Spot-Bitcoin-ETFs zu investieren – ein Faktor, der zunehmend zu Kundenabwanderung führte.
Selektiver Ansatz ohne eigene Produktentwicklung
Vanguard wird keine eigenen Krypto-Produkte lancieren und weiterhin Fonds blockieren, die mit Memecoins verknüpft sind. Die Zulassung beschränkt sich auf regulierte ETFs und Investmentfonds für Bitcoin, Ethereum, XRP und Solana. Die SEC genehmigte im Januar 2024 elf Spot-Bitcoin-ETFs, darunter BlackRocks IBIT und Fidelitys FBTC. Diese ETFs verwalten zusammen rund 113 Milliarden Dollar. Ethereum-ETFs folgten am 23. Juli 2024 mit acht Produkten und verwalten etwa 22.5 Milliarden Dollar. Solana-ETFs starteten am 28. Oktober 2025, Spot-XRP-ETFs am 13. November 2025.
Vanguards Timing zeigt einen reaktiven Ansatz: Die Firma öffnet ihre Plattform unmittelbar nach SEC-Zulassung neuer Krypto-Produkte, entwickelt jedoch keine eigenen Angebote. Anders als BlackRock oder Fidelity, die aktiv eigene Bitcoin-ETFs entwickelt haben, positioniert sich Vanguard als Distributionsplattform ohne eigene Produktinnovation. Diese Strategie spiegelt Vanguards konservative Unternehmensphilosophie wider. Die Firma fokussiert sich auf ultra-niedrige Kosten und passive Strategien. Ein eigener Bitcoin-ETF müsste signifikant günstiger sein als bestehende Produkte, um im Markt zu bestehen – eine Herausforderung bei einem Expense Ratio von 0.25% für BlackRocks IBIT.
Marktimplikationen und institutionelle Bedeutung
Die Ankündigung hat primär symbolische Bedeutung für die institutionelle Akzeptanz digitaler Assets. Mit über 50 Millionen potenziellen Investoren erhalten Krypto-ETFs Zugang zu einer Kundenbasis, die bisher systematisch ausgeschlossen war. Bloomberg Intelligence schätzt, dass 5 Prozent Adoption durch Vanguard-Kunden 15 bis 25 Milliarden Dollar zusätzliche Zuflüsse generieren könnten.
Die unmittelbare Marktauswirkung dürfte jedoch begrenzt sein. Vanguard-Kunden sind überwiegend langfristig orientierte Buy-and-Hold-Investoren mit konservativen Portfolios. Die typische Allokation in Bitcoin dürfte bei dieser Zielgruppe zwischen 1 und 3 Prozent liegen. Zudem wird Vanguard keine aktive Marketing-Kampagne für Krypto-Produkte durchführen.
Der Zeitpunkt der Ankündigung wirft Fragen auf. Bitcoin-ETFs verzeichneten im November die höchsten Abflüsse seit Launch. Bitcoin selbst notiert 32 Prozent unter dem Oktober-Hoch. Die Öffnung erfolgt somit nicht während einer Rallye, sondern in einer Phase erhöhter Volatilität und sinkender ETF-Nachfrage.
Regulatorische Rahmenbedingungen und Ausblick
Die mittelfristige Entwicklung hängt von regulatorischen Entscheidungen der SEC ab. Sollten weitere Krypto-Produkte genehmigt werden – etwa gestakte Ethereum-ETFs oder zusätzliche Altcoin-Vehikel –, wird Vanguard entscheiden müssen, ob diese auf der Plattform verfügbar gemacht werden. Die aktuelle Ankündigung lässt keine konkreten Kriterien für künftige Entscheidungen erkennen.
Die Strategie, keine eigenen Krypto-Produkte zu entwickeln, könnte langfristig unter Druck geraten. BlackRock generiert mit IBIT bei 70 Milliarden Dollar AuM und 0.25% Gebühren etwa 175 Millionen Dollar jährliche Einnahmen. Damit ist IBIT der profitabelste Fonds des Vermögensverwalters. Sollten sich Bitcoin-ETFs über mehrere Konjunkturzyklen als stabiler Portfoliobestandteil etablieren, verzichtet Vanguard auf signifikante Ertragsquellen.
Vanguards Öffnung markiert eine pragmatische Anpassung an veränderte Marktbedingungen. Die systematische Verweigerung von SEC-genehmigten Produkten, die Konkurrenten erfolgreich anbieten, erwies sich als strategisch nicht haltbar. Ob die Öffnung den Beginn einer tieferen Integration digitaler Assets markiert oder eine isolierte Konzession bleibt, wird sich zeigen. Die institutionelle Akzeptanz von Bitcoin erreicht mit Vanguards Entscheidung einen symbolisch bedeutsamen Punkt.


